Denk ich an Deutschland..
Ein Tag nach dem Holocaust Gedenktag, bleibt dieser bittere Beigeschmack. Am Denkmal lagen Kränze in Nationalfarben. Nationale Grenzen durch Kriege erkämpft, die so sehr zur Spaltung beitragen. Deutschland trägt nach wie vor eine besondere Verantwortung, der es nicht gerecht wird. Es gibt keinen Grund für Nationalstolz in Deutschland und kann es nie wieder geben. Seit dem Fall der Mauer wurde Deutschland wieder zu einem großen Land. Roma und Sinti haben kein eigenes Land und nie einen Krieg begonnen. Sie sind Bürger*innen der Länder in denen sie oft schon seit Jahrhunderten leben, mit sehr heterogenen Lebensentwürfen.
In dem Land das sich des größten Menschheitsverbrechen aller Zeiten schuldig machte, ist der Nationalstolz seit Deutschland wieder eins wurde, vor allem aber seit der Fußball- Weltmeisterschaft 2006 wieder erwacht. Ein Land im Fahnenmeer in dem man sich wieder trauen will stolz zu sein und die Erinnerung an den Holocaust hinter sich lassen will. Eine Kehrtwende wird gefordert und von Bürgerkrieg gefaselt.
Der Spruch „Wir sind nicht Schuld“ kam gestern übermäßig oft und reflexhaft von Vielen. Das zeigt uns wie wichtig es ist, die direkt danach beteuerte Übernahme von Verantwortung, gleichzeitig wieder weit von sich zu schieben. Es ist wie ein Mantra das stetig wiederholt werden muss „Wir sind nicht Schuld…“
Wir wuchsen auf in einem gespaltenen Land und damit meine ich nicht in Ost und West, sondern die Spaltung dieser Gesellschaft nach 1945.
Mit „Wir“ waren Wir bekanntlich nie gemeint.
Die Mehrheit der Deutschen lehnt Sinti und Roma nach wie vor ab und will uns, selbst nach Jahrhunderten, aus ihrer Nachbarschaft und den Städten verbannt haben.
Studien sprechen für sich. Reale Spaltung zeigt sich in harten Fakten: Wir das seid ihr. Was wollt ihr uns damit also sagen?
Unzählige Male mussten wir es gestern lesen mit dem Hashtag #niewieder. Wer ist dieses „Wir“? Ist es „Wir“ Deutsche? „Wir“ die Familie Müller? „Wir“, deren Oma auf die Straße ging, um Hitler zuzujubeln, die auf dem Amt fein säuberlich die Akten derer führte, die bald nicht mehr sein würden?
Ist es das „Wir“ deren Opas bei der SS waren, Lager bewachten und Öfen anfeuerten, die beim Bäcker das Brot den Hungernden versagten, die weg sahen, als unsere Menschen wie Tiere die Straße herunter getrieben und in Viehwaggons weg transportiert wurden. Dieses „Wir“ das Nichts fragte und hinterher von Nichts gewusst haben will, selbst so sehr litt, sich selbst befreit fühlte?
Oder ist es doch nur das „Ich“ das gut oder gar besser dastehen will?
Deutschland ist eine „schuldabwehrende Erinnerungsgemeinschaft“ schrieb Samuel Salzborn. Eine Aufarbeitung des Holocaust hat es nie wirklich gegeben. Es wurde schlicht selbst herumgeopfert und gerne Schuld umgekehrt.
Erst wenn „Wir“, also ihr endlich damit beginnen würdet, diese Schuld einzugestehen und sei es „nur“ fürs weg sehen, würde es etwas mit dem #niewieder. „Sie haben alles aufgeschrieben, aber von nichts gewusst.“ sagte Melanie Spitta in ihrem Film „Das falsche Wort“ mit zahlreichen Zeitzeug*innen die viel zu lange nicht gehört wurden. Kein Rom, keine Romni, kein Sinto, keine Sintiza wurden gehört um Kriegsverbrecher*innen zu verurteilen. Keine*r der Täter*innen, die den Völkermord planten, die Vernichtung der Sinti und Roma perfektioniert industriell durchführen ließen, wurde je verurteilt.
Das Verfahren gegen Robert Ritter, einer der Hauptverantwortlichen des Völkermordes wurde eingestellt, mit der Feststellung: „(Es) erhebt sich die Hauptfrage, ob und inwieweit überhaupt den Darstellungen der Zeugen zu glauben ist. Es handelt sich um die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit Aussagen von Zigeunern zur Grundlage richterlicher Überzeugungen gemacht werden können.“ Da die Täter*innen weiterhin als einzige an die Quellen des akribisch dokumentierten Völkermordes kamen, konnten sie sich vor Strafverfolgung schützen und die Opfer um die Anerkennung ihrer erlittenen Qualen und um jegliche Form der Entschädigung, die es ohnehin nie geben kann, bringen. NS Sprech war an deutschen Gerichten auch nach 1945 bittere Realität.
Hermann Arnold schrieb an Eichberger über Eva Justin, die unzählige Menschen, vor allem Kinder der Ermordung zuführte und nach dem Krieg mit Ritter in Ämtern unbehelligt gewaltsam weiter Agieren durfte: „Gegen Eva Justin scheint man zu intrigieren. Ich bin der Meinung, dass es ein Riesen Unsinn ist, denn man kann nicht aus den Verhältnissen von 58 heraus Dinge erörtern, die 1940 geschehen sind. Schließlich ist die Zeit ein versöhnender Faktor und wenn über eine dumme Sache endlich Gras gewachsen ist, sollte man nicht einem Esel erlauben, es wieder weg zu fressen.“
Hermann Arnold trat in die Fußstapfen der Rasseforscher*innen und trug ihre Ideen weiter, auch in die Caritas Zeitung in der er im Sonderheft „Zigeuner“ 1973 schrieb
„(…) dass im Alter von von etwa 12 Jahren die Aufnahmefähigkeit des Zigeunerkindes praktisch endet, erst der Heranwachsende ist wieder lernbereit, was besagt, dass eine Berufsausbildung im üblichen Alter in der Regel nicht akzeptiert wird. Mit 18-20 Jahren ist dann nur noch das Anlernen der einfacheren Tätigkeiten möglich.“ „Im selben Heft der Caritas erhielt Dr. Arnold außerdem die Gelegenheit, neue polizeiliche Sondergesetze gegen Sinti und Roma unter ausdrücklicher Mißachtung von Verfassungsgrundsätzen zu verlangen (…) Landfahrerzentralen“ führten die Verfolgung mit NS Akten gegen Sinti und Roma weiter, ehemalige NS Täter* an der Spitze. (Rose)
Schuld haben sie einfach umgekehrt. Noch 1956 wurde gerichtlich festgestellt dass die grausamen Deportationen und Qualen in Konzentrationslagern eine „kriminal- präventive Maßnahme“ zum „Schutz“ der damaligen deutschen Bevölkerung vor den „Zigeunern“ gewesen sei.
Die Täter*innengesellschaft hielt dicht zusammen und deckte sich gegenseitig in Verfahren die zunehmend zur Farce wurden. Eine Entnazifizierung hat nie statt gefunden.
Wie hätte das auch möglich sein können, denn wie Karola Fings fest hielt:
„Ein Völkermord ist gekennzeichnet durch Täterschaft in der Mehrheitsgesellschaft, denn sie ist an der Auslöschung einer gesellschaftlichen Teilgruppe als Ganze beteiligt. Ein weiteres Merkmal ist, dass Menschen allein aufgrund der – tatsächlichen oder von der Mehrheit so definierten – Zugehörigkeit zu einer Gruppe, unabhängig von gesellschaftlichem Status, Alter, Geschlecht, Aussehen, politischer Orientierung oder Verhalten zu Opfern einer auf Vernichtung zielenden Politik werden. Ein Völkermord impliziert also eine Verfolgungspraxis, die unterschiedslos alle Angehörigen einer Gruppe – vom Säugling bis zum Greis – trifft, und die total und gewaltförmig ist. Dieser Art von Verfolgung waren im Nationalsozialismus nur Juden sowie Sinti und Roma ausgesetzt.“
Das heute so mechanisch wiederholte #niewieder ist zunehmend zur hohlen Phrase verkommen. Erst wenn dieses „Wir“, ihr also endlich beginnen würdet diese Schuld einzugestehen, über Eure Vorfahren* ehrlich reden und reflektieren, Schuld benennen würdet und sei es „nur“ fürs weg sehen, würde es etwas mit der Verantwortungsübernahme und dem #niewieder.
Aber daran glauben wir längst nicht mehr. Diese von Samuel Salzborn fest gestellte „kollektive Unschuld“ verhinderte aktiv die „Entnazifizierung“ Deutschlands und macht die menschenfeindlichen Ideen heute wieder stark.
Seit 2012 wurden wir durch die AfD die durch jede Talkshow und alle Medien schwadronierte zunehmend aus diesem Land heraus erklärt und rassistisch diffamiert. Klare Gegenrede blieb nahezu vollständig aus. Im Gegenteil ging man auf rassistische Haltungen zu, die zunehmend zur diskutablen „Meinung“ gemacht wurden.
Im Bundestag werden wieder menschenfeindliche Reden geschwungen wie die von Ehrhorn, der 2019 „meinte“, dass es „eben leider nicht“ so einfach sei, eindeutig zwischen Tätern und Opfern im Holocaust zu unterscheiden. „Wir sind uns einig, dass wirklich niemand in ein Konzentrationslager gehört. Wenn es aber darum geht, über welche Personengruppen wir hier heute eigentlich sprechen, dann müssen wir schon einmal etwas genauer hinschauen“ Zu den von ihm aufgeführten Opfergruppen gehörten auch Sinti und Roma. Noch heute halten sich die von Nazis mit Gewalt erschaffenen Bilder, die unsere Menschen aus jeglichem sozialen Kontext heraus rissen, sie regelrecht entmenschlichten um ihre vorgebliche Höherwertigkeit zu beweisen, fest in den Köpfen der Dominanzgesellschaft.
Doch sie sind nicht besser und sind es nie gewesen.
Tiefer kann ein Mensch nicht sinken, als dass er andere für schlechter erklären muss, um sich selbst besser zu fühlen. Wann werden wir nicht mehr für elementare Menschenrechte kämpfen müssen?
In allen gesellschaftlichen Bereichen begegnen uns heute wieder extrem rechte und überall rassistische Ideen mit Schuldumkehr die ohne jede Scham geäußert werden, bis hin zur Holocaustrelativierung, auf die nicht selten jeglicher Aufschrei ausbleibt..
Es sind nicht nur die Worte, es sind auch Taten. Hunderte DNA Studien mit dem Fokus auf Roma und Sinti, die nach wie vor Kriminalität genetisch nachweisen sollen. Polizeigewalt in allen europäischen Ländern bis hin zu Ermordungen, mangelnde Verfolgung rechter rassistischer Gewalt.
Systematische Erfassung von Sinti und Roma Familien in Ämtern in alter Tradition.
Wo bleibt der Aufschrei bei Gewaltvorfällen gegen Rom*nja und Sinti*zze?
Er bleibt meist aus.
Die Hetze in Medien und sozialen Netzwerken wird mehr und wurde durch die Pandemie nochmals potenziert, „Gegenrede“ ist oft selbst rassistisch konnotiert und wirkt sich zunehmend in reale Gewaltvorfälle gegen unsere Menschen aus. Wie immer trifft es vor allem die Schwächsten unter uns, die aller Möglichkeiten beraubt wurden.
Wie der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus bewies wirkt der Holocaust nach und sich in Diskriminierung in allen Lebensbereichen aus.
Für „Wehret den Anfängen“ ist es längst zu spät. Ihr seid schon lange unglaubwürdig geworden. Es sind viel zu wenige die aufstehen und klar gegen Hass stehen.
Wir müssen aufstehen und dicht zusammen stehen. Opre Roma!
Sonja Kosche