Statement der AG Roma zu rassistischer Datenerhebung in Berliner Behörden

Text:

RASSISTISCHE DATENERHEBUNG ZU SINTI*ZZE UND ROM*NJA IN BEHÖRDEN DER BERLINER SENATSVERWALTUNG FÜR BILDUNG, JUGEND UND FAMILE

Wir, die AG Berliner Roma, sind entsetzt und alarmiert.

In Behörden der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie dem Berliner Notdienst Kinderschutz (BNK) wurden systematisch und rechtswidrig Sinti*zze und Rom*nja, ohne das Wissen und die Einwilligung der Betroffenen, gesondert erfasst:

https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/S18-28317.pdf

Das erinnert uns erschreckend an die systematische Erfassung, die in den industriellen Völkermord unserer Minderheiten führten. Ohne diese gesonderte Erfassung unserer Menschen, hätte der Völkermord von 1933 bis 1945 nicht so viele Menschen in die Vernichtung führen können und besorgt daher auch besonders die Nachfahr*innen der traumatisierten Überlebenden.

Auch nach 1945 hat diese besondere Erfassung und damit eng verbundene weitere Verfolgung und Diskriminierung nicht aufgehört, mit fatalen Folgen bis in die Gegenwart. Das ist allen Menschen in Deutschland bekannt und erforderte daher besondere Sensibilität, die ganz offensichtlich fehlt.

Besonders befremdlich ist auch, dass in der Antwort des Berliner Senates, auf die kleine Anfrage von Sebastian Walter, die Fragen 1-8 zusammengefasst werden und auch die restlichen Fragen in keiner Weise vertiefend und transparent beantwortet werden. Höhepunkt der Ausweichstrategie ist die Erwähnung von Roma – Selbstorganisationen in einer Weise, die den Anschein erweckt als ob wir in irgendeiner Weise von diesen Vorgängen informiert gewesen wären. Das waren wir nicht.

Wir möchten ganz deutlich Klarstellen, dass diese Erfassung nicht in Kenntnis oder gar mit einem Einverständnis unsererseits, statt fand, dies nicht mit den nichtstaatlichen Organisationen diskutiert wurde und es auch nicht in der Lenkungsgruppe (Senatsverwaltungen und Bezirke) angesprochen, vor allem nicht priorisiert wurde, wie es in der Antwort des Senates anklingt. Von einer Datenerfassung von Sinti und Roma Kindern und Jugendlichen wussten wir Nichts und hätten dem auch von Anfang an klar und vehement widersprochen. Wir möchten ausdrücklich nicht in diesem Zusammenhang genannt werden und wehren uns entschieden dagegen, dass Daten zur ethnischen Herkunft für, wie Sie sagen „diesen Personenkreis“, in Berliner Ämtern erfasst werden.

Wir möchten auch nochmal betonen, dass „dieser Personenkreis“ keine heterogene Gruppe und nicht einzig durch „Armut“ geprägt oder gar „schwer zu integrieren“ ist. Auch das klingt in der Antwort des Senates an. Sinti*zze und Rom*nja leben seit Jahrhunderten inkludiert in europäischen Gesellschaften und haben das Recht auf die in Grundgesetz und Menschenrechten fest geschriebene Gleichheit, ohne rassistisch markiert und erfasst zu werden. Erst die Markierung und damit verbundene Diskriminierung führt zu Ausschluss und dem in der Antwort angesprochenen Armut.

„Das Merkmal zur Zugehörigkeit“ gehört in keine Akte und in kein Amt! Das hilft nicht, wie in der Antwort suggeriert wird, Diskriminierung abzubauen, es hilft einzig den Diskriminierenden.

Nachdem die rassistische Erfassung von Sinti*zze und Rom*nja bei der Polizei hart kritisiert, nun angeblich endlich beendet wurde, sind diesmal, besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche mit ihren ganzen Familien betroffen. Die Unsicherheit die Sie damit bei den Betroffenen auslösten, sowie die Folgen, die Ihr Handeln für diese haben kann, möchten wir wieder gut gemacht wissen und bitten Sie ausdrücklich um Vorschläge dafür. Wir leben in einem Land, in dem uns Allen klar ist, dass nun wieder Faschist*innen im Bundestag und sicher auch in Ämtern sitzen.

Die Mitte Studien in Leipzig haben erwiesen, dass eine Mehrheit hier Sinti*zze und Rom*nja ablehnt, nicht als Nachbar*in und aus Innenstädten verbannt haben will, für kriminell hält und somit ein rassistisches Bild über Sinti*zze und Rom*nja hat.

Was bedeutet nun also diese Markierung für die Betroffenen ganz konkret?

Offensichtlich ist die Zuordnung der Herkunft durch die Sozialarbeitenden teilweise durch Erfragung der ethnischen Zugehörigkeit und zum Teil durch Fremdzuschreibung erfolgt, also wurden wohl Kinder, Jugendliche und Familien durch bloße so genannte „Inaugenscheinnahme“ zu Rom*nja erklärt. Die Basis hierzu können nur rassistisch stereotypisierende Zuschreibungen gewesen sein, die sich leider auch nach 1945 ungebrochen im kollektiven Gedächtnis hielten.

Wir möchten Sie daher fragen, wie die Berliner Behörden glaubten Sinti*zze und Rom*nja zu erkennen? Welche Kriterien gaben Sie, für die angeforderten Erfassungen, an?

Die „Berliner Strategie zur Einbeziehung ausländischer Roma“ sollte der Selbstermächtigung dienen und nicht die Deutungshoheit der Mehrheitsgesellschaft über die Minderheiten stärken, gar rassistische Praxis legitimieren. Eine Gespräch mit uns und die Erwähnung solcher Vorhaben, hätte geholfen solche Irritationen und tiefe Verunsicherung, gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Dass diese hoch sensiblen Daten, die einst in die Ermordung führten, gerade auch heute Menschen massiv in Gefahr bringen können, muss jedem hier bewusst sein. Dass die Daten einzig einem kleinen Personenkreis zugänglich waren, ist weder glaubwürdig, noch schlüssig beantwortet.

Wir fordern daher dazu auf, dass diese Daten sofort vernichtet und die Betroffenen über ihre Erfassung unterrichtet werden. Der Senat sollte diesbezüglich auch mit uns in Kontakt treten.

Wir schließen uns ausdrücklich gemeinsam mit unseren Vereinen dem ausführlichen Frage- und Forderungskatalog zur Herstellung vollständiger Transparenz von RomaniPhen e.V. an, den man in folgendem Link nach lesen kann:

http://www.romnja-power.de/wp-content/uploads/2021/08/Presseerklaerung-Erfassung-Jug.pdf

AG Berliner Roma